8. November 2001

TIBET INFORMATION NETWORK

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Lehrmeister des buddhistischen Instituts Serthar nach Chengdu verlegt

Neue Informationen über die Ausweisung der Nonnen

Khenpo Jigme Phuntsog, der hochgeachtete Lehrer an einem der wichtigsten Zentren des tibetischen Buddhismus, die es in Tibet noch gab, dem Buddhistischen Institut Serthar, wurde nach Chengdu, der Provinzhauptstadt Sichuans, gebracht. Bis vor kurzem wurde er seiner angegriffenen Gesundheit wegen in dem Militärkrankenhaus in Barkham (chin. Ma'erkang) in der Tibetisch Autonomen Präfektur Ngaba behandelt.

Neues Beweismaterial ging TIN zu über den Abriß der Behausungen der Nonnen und Mönche des Serthar Instituts, das in dem Tal von Larung Gar in der Präfektur Kardze (chin. Ganzi) in Sichuan liegt. Anfang Oktober gemachte Aufnahmen, die auf der website von TIN unter www.tibetinfo.net/report/larunggar-1.htm eingesehen werden können, zeigen das Ausmaß der Demolierung der Nonnen-Unterkünfte. In den TIN zugegangenen Berichten ist die Rede von mindestens einem Selbstmord einer Nonne und der Ausweisung Hunderter von Nonnen aus dem Institut, seit die offiziellen Arbeitsteams im Juni nach Serthar kamen. Unter Tibetern in kleineren und abgelegenen monastischen Siedlungen gibt es nun Befürchtungen, daß auch andere religiöse Gemeinschaften in der Region von demselben Schicksal ereilt werden könnten.

Die Behörden rissen hauptsächlich die Häuschen der Nonnen ab, obwohl auch die Unterkünfte einiger chinesischer Studenten des Buddhismus aus China und von Übersee, die in Serthar lebten, im Juni und Juli zerstört wurden. Aus den Berichten geht hervor, daß weit über eintausend Behausungen niedergerissen wurden. Die Photos auf der website von TIN zeigen, daß in dem monastischen Komplex noch etliche Gebäude stehen, in denen diejenigen wohnen, die Erlaubnis haben, in Serthar zu bleiben, nämlich Mönche und Nonnen aus der näheren Umgebung, sowie einige ältere Nonnen und Laien, die buddhistische Gelübde abgelegt hatten.

Die von den Kadern zur Demolierung der Unterkünfte in Serthar herbeigeholten chinesischen Arbeiter wurden den TIN Quellen zufolge für den Abriß jedes Hauses mit mindestens 130 Yuan ($16) entlohnt. Ein Tibeter, der vor kurzem Serthar verließ, erzählte TIN, mehrere Khenpos (Gelehrte der Religion) an dem Institut wären von den Kadern aufgefordert worden, bei den Abbrucharbeiten mitzuhelfen, aber sie hätten sich geweigert, weil in jedem Häuschen ein Altar sei, und weil sie nicht die Unterkünfte der Mönche und Nonnen zerstören wollten. Einem Bericht zufolge wurden auch Beamte aus zwei benachbarten Distrikten - Ngaba (chin. Aba) in der TAP Ngaba in Sichuan und Chigdril (chin. Jiuzhi) in der TAP Golog (chin. Guoluo) in Qinghai - von der Obrigkeit beauftragt, einige Behausungen von Nonnen in Serthar abzureißen.

Ein Westler, der unlängst aus Tibet zurückkehrte, erzählte TIN: "Es gibt viele Nonnen aus Serthar, die nun in Xining, Chengdu und anderen Gegenden um Essen und Geld betteln. Das Hauptproblem für sie ist: Wenn sie nach Hause gehen, werden sie in keinem Kloster mehr aufgenommen, und sie hätten doch das Gelübde abgelegt, nicht ins weltliche Leben zurückzukehren". Die Nonnen erzählten ihm auch, wie manche von ihnen, die sich den Befehlen der Arbeitsteam-Kader in Larung Gar widersetzten, von der Polizei gewaltsam entfernt wurden. "Einige von ihnen wurden aus ihren Behausungen gezerrt und geschlagen", heißt es in einer TIN Quelle. Aus mehreren von TIN erhaltenen Berichten geht hervor, daß viele der Nonnen nun wegen gesundheitlicher Störungen und dem psychischen Schocks auf das Trauma der Demolierung ihrer Häuschen und ihrer Vertreibung hin medizinisch behandelt werden.

Ein weiterer Tibeter, der aus Serthar im Exil ankam, erzählte TIN: "Während der Meetings, die in Larung Gar von den Offiziellen abgehalten wurden, um die Ausweisungsaktion anzukündigen, fielen einige Nonnen vor Entsetzen ohnmächtig um. Die Kader gossen Wasser auf sie, um sie wieder zu sich zu bringen. Einige kamen ins Krankenhaus und erholten sich inzwischen, aber manche stehen immer noch unter Schock". Er fügte hinzu, eine 21-jährige Nonne namens Wangmo aus der Präfektur Kardze habe sich das Leben genommen, nachdem ihr befohlen worden sei, Larung Gar zu verlassen: "Sie wurde zum Verlassen aufgefordert, aber sie konnte ja nirgends hingehen, weil ihre Eltern in Larung Gar lebten, alte Leute, die von ihr abhingen. Sie erklärte den Kadern ihre Probleme, aber diese hörten nicht auf sie, weshalb sie in Verzweiflung geriet. Einige ihrer Freundinnen waren bereits aus dem Institut vertrieben worden, und sie hatten sie gebeten, auf ihre Unterkünfte aufzupassen - aber acht oder neun ihrer Hütten wurden zerstört. So sah sie keinen Ausweg mehr und beging Selbstmord, indem sie sich Anfang Juli mit ihrem Gürtel an einem Baum im Wald in der Nähe des Klosters erhängte. Wir sahen ihre Leiche, und einige Mönche gingen hin, um an dem Ort, wo sie starb, Gebete abzuhalten."

Die tibetischen Mönche und Nonnen von Serthar machen sich große Sorge um das Wohlergehen ihres hoch angesehenen spirituellen Lehrers Khenpo Jigme Phuntsog, der das monastische Institut 1980 zum Zweck der Wiederbelebung buddhistischer Gelehrsamkeit und Meditation gründete. Schon ehe die Arbeitsteams im Frühjahr kamen, ging es Khenpo Jigme Phuntsog nicht gut und seitdem hat sich sein Zustand beträchtlich verschlimmert. Ein Tibeter aus Serthar, der jetzt im Exil ist, meint, dies komme zum von der Aufregung und Entrüstung über die Kader, welche den Abbruch der Behausungen und die Ausweisung der Mönche/Nonnen vorzunehmen hatten. Khenpo Jigme Phuntsog mußte auch seine regulären Belehrungen im Institut einstellen. Schließlich wurde er zur ärztlichen Behandlung in eine Militärklinik in Barkham eingeliefert, aber inzwischen soll er in die Provinzhauptstadt Chengdu gebracht worden sein. Ob er in Chengdu weiter behandelt wird, ist nicht bekannt, auf jeden Fall sind die medizinischen Einrichtungen dort besser als in Barkham.

Wie es zu den Ausweisungen kam

Ehe die Arbeitsteams zu den Abbrucharbeiten in das Institut kamen, lebten dort mindestens 7.000 Personen - die größte Ansammlung von Mönchen/Nonnen an einem Ort in den derzeit China unterstehenden tibetischen Regionen. Schon 1991 gab es Befürchtungen, daß Serthar schließlich auch von den Restriktionen erfaßt werden könnte, die in den tibetisch buddhistischen Klöstern in ganz Tibet eingeführt wurden, seitdem die Regierung beschloß, ihre Autorität über die sich rasch vergrößernden Klöster mehr geltend zu machen. Der Status Serthars als einer "Akademie" anstelle eines formellen Klosters könnte ein Grund dafür sein, daß das religiöse Leben dort bis Frühjahr 1999, als das erste offizielle Arbeitsteam im Kloster auftauchte, fast ohne Einmischung der Behörden weiterging, während die erste Welle der "patriotischen Erziehung" die tibetisch buddhistischen Klöster Sichuans seit 1997 erfaßt hatte. Ein Mönch, der damals in Serthar studierte und jetzt im Exil lebt, erzählte TIN: "Die lokalen Kader erklärten uns, das Institut würde nicht dem richtigen Weg folgen und hätte zu viele Studenten. Dann betonten sie, wie notwendig ein Programm der patriotischen Erziehung für das Institut sei, und daß die Zahl der Studenten streng unter Kontrolle gehalten werden müsse." Die Bewegungsfreiheit von Khenpo Jigme Phuntsog wurde auf diese Besuche der Kader hin immer mehr eingeschränkt, und mehrmals wurde ihm nicht erlaubt, an andere Orte zu fahren, um Belehrungen zu geben. Berichten zufolge gaben die Behörden 1999 bekannt, daß sie beabsichtigten, die Zahl der Mönche auf 1.000 und die Zahl der Nonnen auf 400 zu reduzieren, aber erst in diesem Sommer gingen sie daran, die Massenausweisungen vorzunehmen. Eine zuverlässige Quelle fügt hinzu, die Behörden hätten Pläne, im Laufe der Zeit die gesamte monastische Gemeinde weiter zu reduzieren.

Ein kürzlicher Besucher in der Gegend, welcher Nonnen begegnete, die aus dem Institut vertrieben worden waren, sagte: "Die chinesischen Behörden werden deutlich nervös, wenn sich Leute mit solcher Hingabe in immer größeren Scharen an einem Ort ansammeln, um ihr Leben dem Studium und der Praxis des Buddhismus zu widmen. Der Umstand, daß sogar eine ansehnliche Zahl von buddhistischen Han Chinesen unter ihnen war, sowie der repressive Trend nach der Zerschlagung der Falun Gong Bewegung hat vielleicht zu der Entscheidung der Regierung beigetragen, mit der bisherigen Lage in Serthar Schluß zu machen."

Die Order zur Durchführung der Ausweisungen und Demolierungen in dem buddhistischen Institut erging von höchsten Parteikreisen in Peking. Ein höherer Parteifunktionär mit Verbindungen zu Tibet soll besonders für die diesjährige Säuberungsaktion verantwortlich sein. Yin Fatang, der von 1980 bis 1985 Parteisekretär in Tibet war und der als Hardliner bekannt ist was die Kultur- und Religionspolitik betrifft, soll die Parteibosse in Peking vor den "Risiken" im Hinblick auf "spalterische Aktivitäten" in dem Institut gewarnt haben, es sei denn die Anzahl von Mönchen und Nonnen werde unter Kontrolle gebracht. Nach einem Inspektionsbesuch in der Gegend legte er seine Bedenken wegen des Risikos separatistischer Aktivitäten in Serthar unmittelbar Präsident Jiang Zemin vor. Die Abteilung "Vereinte Arbeitsfront" untersuchte daraufhin die Lage und soll zu dem Schluß gekommen sein, daß es wenig oder gar keine Anzeichen von "spalterischer" Aktivität in dem Serthar Institut gibt. Auch frühere Berichte über das Institut beweisen, daß Khenpo Jigme Phuntsog eine freundliche Beziehung zu den Lokalbehörden bewahrte, und daß Serthar für seine strenge Ausrichtung auf das Studium des Buddhismus bekannt war. Weil mehrere Parteifunktionäre jedoch immer wieder Vorbehalte äußerten, wurde schließlich die Aktion beschlossen.

Arbeiterbrigaden unter der Aufsicht der Kader wurden angewiesen, die Behausungen niederzureißen, um eine Rückkehr der Mönche/Nonnen an die Stätte zu verhindern, und wie verlautet, wurde auch von vielen Nonnen verlangt, sie sollten schriftlich erklären, daß sie nicht zurückkommen würden. Die Behörden gaben zudem bekannt, das Institut werde nun unter ständige Überwachung gestellt, wobei besonders auf Leute geachtet werde, die Kontakte in Indien hätten. Dies reflektiert die übliche Phobie der Regierung, daß irgend jemand Verbindungen mit dem Dalai Lama und der tibetischen Exilregierung haben könnte.

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